Stadtkirche 2

1707

Nach dem Verkauf der Grafschaft für 300.000 Reichstaler ist Lengerich preussisch.

 

1723

Minden wird preußisches Verwaltungszentrum für die Provinzen Minden, Ravensberg, Tecklenburg und Lingen auch in kirchlichen Angelegenheiten.

Die Beantwortung mancher Fragen dauert nun über ein Jahr. Folge: das Interesse an gesamtkirchlichen Aufgaben schwindet. Weder Synoden, noch Presbyterien kommen regelmäßig zusammen.

 

1727

Lengerich erhält die Stadtrechte. Die Pastoren Johann Gerhard Vosding und Quirinus Mische setzen sich für die Stiftung eines Waisenhauses und eines Schulhauses für den Rektor der Lateinschule ein.

1738

Beginn des "Papenkriegs" in der Stadtkirche:

Zunächst war es eine Schlägerei in der Stadtkirche, als das Prebyterium dem Bauern Erpenbeck einen neuen Kirchstuhl einräumte. Besonders die Frauen waren aktiv und bestreikten anschließend den Gottesdienstbesuch.

Zu einer Neuaflage kam es, als bei der Pfarrwahl 1743 die Minderheit der "Feinen" mit 30- 40 Stimmen den pietistisch gesinnten Pastor Ardels durchsetzten.

Der Gegenkandidat Pastor Wedde (380 Stimmen) bekam letztendlich 1747 die 2. Pfarrstelle, aber Ruhe kehrte erst 1748 ein (nach mehreren Verhaftungen, dem Einsatz zweier Kompanien und der Versetzung der beiden Pastoren.)

1755

Nach der Familie Voßding (17. Jh.) gelingt es nun der Familie Smend sich über drei Generationen zumindest eine der beiden Pfarrstellen zu sichern.

Den Anfang macht der Onkel Ernst Smend (1723- 47 Pfarrer in Lengerich). Nach kurzer Pause folgen:

  • Rudolf Smend
    1755- 1819 (1768 von 2. auf 1. Pfarrstelle),
  • Florens Jacob Smend
    1819- 1845 (2. Pfarramt, 1830 Superintendent),
  • Friedrich Hermann Smend
    1843- 1857 (1852 von 2. auf 1. Pfarrstelle).

Bereits unter Rudolf Smend wechselte das Pfarramt vom Kirchplatz zur Münsterstr. 19.

Der Familie Kriege gelingt es ebenfalls, die Pfarrstelle von Vater auf Sohn weiterzureichen:

  • Arnold Kriege
    1773- 1807
  • Eberhard Jacob Kriege
    1807- 1852

Die Familien Smend und Kriege sind miteinander verwandt.

EINKOMMENSVERHÄLTNISSE

Die "Summarische Mutterrolle der besteuerbaren Rein-Erträge von den Liegenheiten der Gemeinde Lengerich 1831" belegt die Attraktivität der 1. Pfarrstelle in Lengerich:

  • Pastor Eberhard Jacob Kriege (1. Pfarrstelle) wurde mit 27 Thalern veranlagt,
  • Pastor Florens Jacob Smend (2. Pfarrstelle) dagegen nur mit 11 Thalern.

Zum Vergleich: Pastor Hermann Kriege (Lienen) zahlte 5 Thaler.

Die 1. Pfarrstelle in Lengerich ermöglichte somit den Aufstieg in die oberen 15% der Gesellschaft und war entsprechend begehrt.

1760

Die Stadtkirche ist offen für gelegentliche Gottesdienste der lutherischen Minderheit.

1765/6

Lingen ist nun die den Gemeinden übergeordnete Kirchenbehörde. Nicht mehr die Synode, sondern zwei Inspektoren regeln die Kirchenangelegenheiten.

Die letzte Tecklenburger Synode hatte 1746 getagt.

1803

Mit der Säkularisierung des Fürstbistums Münster und seinem Anschluss an Preußen soll nun Münster Sitz des Konsistoriums für Westfalen werden (1816 verwirklicht).

1804

Keine Freude haben die Lengericher mehr an ihrer Orgel: "Offenbar ist die elende Orgel, welche wir besitzen, hauptsächlich Schuld, dass in unserer Kirche beynahe kein einziger Gesang recht gesungen wird." (Presbyterium an Inspektor Snethlage)

 

1805

Ein Blitz schlägt in den Turm der Stadtkirche und löst auf der Nordseite der Kirche einen Brand aus, der gelöscht werden konnte.

Lengerich 1805

1806- 13

Lengerich ist von den Franzosen besetzt. Zeitweise muss Lengerich bis zu 2.000 Soldaten ernähren.

Einwohnerzahlen 1811

1813- 15

Nach dem Märzaufruf "An mein Volk" beginnen 1813 die Freiheitskriege gegen Napoleon.

Noch vor von Bülows Proklamation (Nov.) an die Menschen von Münster bis Ostfriesland, sich im Landsturm hinter Preußen zu stellen, hatte die französische Garnison bereits Lengerich verlassen (Okt.).

Der preußische Patriotismus findet nun auch in der ehemaligen Grafschaft Tecklenburg ein Zuhause.

1817

Wilhelm III. lässt Ende Januar in ganz Preußen durch die Konsistorien verbreiten, dass "die Geistlichen beider protestantischen Confeßionen sich zu Einer Synode vereinigen" sollen.

Besonders auf reformierter Seite ist dagegen ein Festhalten an einer presbyterial-synodalen Kirchenform feststellbar. 

Ein jahrzehntelanges Ringen mit der von Preußen angestrebten Konsistorial-Verwaltung ist die Folge. So wird die 1822 vorgeschlagene Agende abgelehnt und auf dem Recht bestanden, dass nicht der König, sondern z.B. die Synodalversammlung den Superintendenten wählt wie die Gemeinde ihre Pfarrer.

Positionen von 1568, die nicht nur 1817 sondern auch 1933 wieder aufgegriffen werden.

1818

Bei Pastor Kriege lebt die 19jährige Luise Engels (Schwester von Friedrich Engels sen.), ein Anzeichen von vielen für die enge Verbindung mit dem rheinisch-bergischen Pietismus (u.a. mit den aus Wechte stammenden Brüdern Hasenkamp).

 

1821

In der Münsterstr. erhält Lengerich mit der Synagoge ein zweites Gotteshaus. Beim Richtfest hatte Pastor Smend auf Bitten der jüdischen Gemeinde ein Gebet gesprochen.

 

1822

Von den 5.642 Einwohnern Lengerichs wohnen nur 1.173 auf dem Stadtgebiet.

1823

Das Pfarrhaus Hook 15 ist einzugsbereit.

1826

Ab dem 9. Oktober finden erste Beerdigungen nicht mehr auf dem Kirchhof sondern außerhalb auf dem "Alten Friedhof" statt. Das Gelände wird bald erweitert durch ein Grundstück, das zuvor dem Ellen- und Kurzwarenhändler Enoch Benjamin gehörte. 1856 kommt es zur letzten Beerdigung auf dem Kirchhof.

In Lengerich wohnen ganze 5 Fabrikarbeiter.

1829

Florens Jacob Smend wird zum Superintendenten und Schulinspektor ernannt. Engagiert bringt er sich in die noch zu gründende jüdische Elementar-Schule ein. Dem Bildungsideal seiner Zeit (Aufklärung) verpflichtet schrieb er:

"es sei besser, erst aus den Judenkindern einer unwissenden, weil verkommenen Gemeinde, denen es aber nur nicht an treffli­chen Anlagen und Kräften fehlt, Menschen und rechtschaffene Israeliten zu bilden, und auf diesem Wege es dann zu erreichen, daß sie das Christentum zu würdigen und es in seiner Wahrheit und Fürtrefflichkeit auf dem Wege offener und freier Ueberzeugung zu seiner Zeit anerkennen und anzunehmen lernen." (1833)

Über Jahre hinweg entsteht eine vertrauensvolle Zusammenarbeit mit Benjamin Wolff (Lehrer an der jüdischen Schule 1832- 36).

1831

Friedrich von Bodelschwingh d. Ä. wird am 3. April in der Stadtkirche getauft. Wenige Wochen später zieht die Familie um nach Köln.

 

1832

Zur Unterstützung der Rheinischen Mission gründet Pastor Eberhard Jacob Kriege die Tecklenburgisch-Oberlingensche Missions-Hülfs-Gesellschaft.

1832: Von den 6.205 Einwohnern in Lengerich sind 97,6% evangelische Christen.

1833

Mit dem 27 jährigen Ernst Kortkamp aus Schollbruch beginnen die Auswanderungen nach Amerika. Allein bis 1867 machen sich im Durchschnitt 25 Lengericher jährlich auf die beschwerliche Reise.

Die Behörden schwanken in ihrer Meinung: einerseits begrüßen sie die Reduzierung des Bevölkerungsdrucks, andererseits sehen sie Potenzial in einer intensiveren Nutzung der noch allen gehörenden Mark.

1835

Die Synode Tecklenburg tritt der preußischen Unions-Kirche bei.

Die Rheinisch-Westfälische Agende wird eingeführt. In Lengerich findet sie zunächst kaum Beachtung. Noch 60 Jahre lang werden eingangs die reformierten Psalmen gesungen.

Eine Anekdote am Rand: bis 1913 erfolgen in Lengerich Taufen wochentags unter Ausschluss der Mütter.

Bis heute wohl gültige Beobachtung der Agende von 1834...

1835-37

In der Stadtkirche wird die mächtige Breidenfeld Orgel mit damals 24 Registern eingebaut.

Innenansicht mit Gasbeleuchtung (nach 1909) *

Eine dritte Empore wurde an der Südwand (rechts) errichtet.

Welch ein Chaos die Ausrichtung der Bänke auf die Kanzel bei vollbesetzten Gottesdiensten bewirkte, zeigt eindrucksvoll das Bild rechts, wo ein Teil der Gemeinde sitzbedingt dem Pastor am Abendmahlstisch den Rücken zukehrt.

Da der Eingang noch zum Portal an der Südseite ist, gibt es keinen Mittelgang im Hauptschiff.

Die Gottesdienst wurden vormittags (Predigt) und nachmittags (Katechismus) gehalten.

1836

Pastor Kriege verbringt seine Ferien auf der Insel Wangeroge

1840

Der lengericher Superintendet Florens Smend darf nach Berlin reisen zur Huldigung des Königs.

1842

Superintendent Smend erhält in Münster den "Roten Adlerorden 3. Klasse mit der Schleife". Wohl eher für seine zivilen als seine militärischen Leistungen.

1846

Die Frau von Pastor Kriege unterstützt das Rauhe Haus in Hamburg.

Die Pastoren Smend und Kriege unterstützen die Anliegen der Evangelischen Allianz.

 

1847

Friedrich Hermann Smend steigt auf vom Hilfsprediger (seit 1843) in die 2. Pfarrstelle.

Zur Unterstützung von Pastor Kriege wird sein ehemaliger Hohner Konfirmand Eberhard Hermann Röttger als Hilfspfarrer angestellt (zuvor Missionar in Riau, Indonesien).

Auch in Lengerich war es zu Ernteausfällen gekommen:

Das Notjahr 1847

1848

Pastor Friedrich Hermann Smend ist Mitbegründer der liberalen Bürgerwehr, die proletarische Aufstände verhindern soll.

Bei der Hissung der schwarz-rot-goldenen Fahne Ende März unterstreicht er die Pflicht, aller "Unordnung und Anarchie" entgegen zu treten.

In Lengerich ist Pastor Smend außerdem Sprecher des "Constitutionellen Vereins", der sich für die Beibehaltung der von König Friedrich Wilhelm IV. konservativ ausgerichteten Verfassung einsetzt.

Am 20./21. Juni findet in Lengerich eine evangelische Konferenz statt mit 100 Teilnehmern (darunter 33 Pastoren) bei der kritische Töne zum Versagen von Kirche und Staat zu hören sind.

Durch die Predigt von Friedrich Ludwig Mallet wendet sich die Stimmung von einer Parteinahme zur Abwehr einer Kirchenreform. Dabei sei im Sinne einer Absonderung von der Welt eine Trennung von Kirche und Staat "als von Gottes Hand dankbar anzunehmen." Die Teilnehmer waren sich einig,

"daß in dieser außerordentlichen Zeit auch außerordentliche Thätigkeiten zu entwickeln seien."

Ergebnis: Ein Ausschuss wurde gebildet, der weitere Konferenzen ermöglichen soll.

Pastor Smend nimmt im September teil an der "Wittenberger Versammlung für Gründung eines deutschen evangelischen Kirchenbundes ", bei der Hinrich Wichern eine bedeutungsvolle Rede zur sozialen Verpflichtung der Kirche hält, wie Unruhen zu vermeiden sind.

1849

Durchaus im Sinne der "Inneren Mission" gründen die Pastoren Smend und Röttger einen Verein, der verwahrloste Kinder Pflegeltern zuordnet, die sie zu Kirchgang, Schulbesuch und Arbeit erziehen sollen.

Pastor Röttger: "In unserer Landgemeinde von etwa 4.500 Seelen wüßte ich kein verwahrlostes Kind mehr, das nicht untergebracht wäre; in der Stadt von etwa 1.500 Seelen haben wir mehrere, die uns die Eltern bis jetzt nicht verabfolgen lassen wollten, oder, wenn sie uns einige zur Unterbringung verabfolgen ließen, so sind mehrere ohne unser Wissen und Wollen zu den Eltern zurückgekehrt.

Mit den Kindern vom Lande dagegen hat es gar keine Schwierigkeit; sie bleiben gern bei den Pflegeeltern, wo sie Arbeit sehen, Arbeit lernen und zur Schule und Kinderlehre angehalten werden...

Das Umherbummeln und Betteln der armen Kinder hat in der Landgemeinde ganz aufgehört; in der Stadt kommen wir dem Ziele immer näher und werden endlich alle Arbeitskräfte in der Gemeinde nützlich machen."

1852

Amtsblatt des Königlichen Consistoriums Münster

1853

Die Pfarrer Friedrich Hermann Smend und Eberhard Hermann Röttger stellen am 12. April die "neue Kanzel" auf, die von Adelheid Kriege zum Andenken an ihren verstorbenen Mann Eberhard Jakob gestiftet wurde.

Interessant an der Urkunde zur Kanzelstiftung sind auch die zugefügten Zahlen:

2.553 Menschen nehmen am Abendmahl teil (42%).

1857

Nachdem Pastor Friedrich Hermann Smend zum Konsistorialrat in Münster berufen wurde, hätte nach Lengericher Gewohnheit Pastor Röttger in die 1. Pfarrstelle aufrücken müssen.

Es kommt aber zu Problemen. Ihm wird vorgeworfen, Sohn eines Hohner Heuermanns und "nur Missionar" zu sein.

Röttger kann sich in Lengerich nicht halten und wechselt nach Lotte.

Die Neubesetzungen:

Pfarramt 1:
Rudolf Kobmann
(bis 1891, bereits Superintendent in Lotte)

Pfarramt 2:
Wilhelm Bossart
(bis 1891, dann 1. Pfarrstelle bis 1895)

Die beiden sind, wie auch ihre Nachfolger, der Zeit entsprechend national-konservativ gesinnt. So sammeln sie sammeln für das Kaiser-Wilhelm-Denkmal (Porta Westfalica), sind bei "Feld-Gottesdiensten" (draußen vor der Kirche) des Kriegervereins dabei. Pastor Bossart meldet sich 1871 (mit 53 Jahren) noch als Kriegsteilnehmer. Das Ideal in vieler ihrer Ansprachen: "christlich und königstreu."

Soziale Not nehmen sie wahr und lindern sie nach Kräften im Sinne der "Inneren Mission".

1864

In Abkehr von der strengen reformierten Ausrichtung erhält die Stadtkirche wieder aufwendige Kerzenständer.

Vor den Toren Lengerichs wird die "Provinzial-Irrenanstalt" eröffnet, die bereits zwei Jahre später umbenannt wird in "„Provinzialheilanstalt Bethesda“.

KAISERZEIT

1871

Lengerich hat 6.068 Einwohner

 

1872

Die Kreissynode Münster wird gegründet. Das Gebiet fällt somit nicht mehr in die Zuständigkeit der ev. "Diöcese Tecklenburg".

Die weiterführende Schule für Mädchen, die "Höhere Privat-Töchterschule" startet mit zunächst 8 Schülerinnen (1909: 42). Geleitet wird sie zunächst von "Fräulein Kobmann" (Tochter des Superintendenten). Es folgte ihr in dieser Aufgabe 1894 ihre Nichte Maria Meyer (Schwester des gleichnamigen Superintendenten).

1873

Die traditionellen Märkte nehmen noch Rücksicht auf jüdische Feiertage.

1875 -1918

spielt der Lehrer Julius Beccard im Nebenamt die mächtige Breidenfeld-Orgel.

1882

In der Kalkindustrie arbeiten 126 Menschen, in der Metallverarbeitung 50.

Es gibt bereits einen Kindergottesdienst, genannt: "Sonntagsschule." Im Sommer macht die sogar einen Ausflug mit 90 Kindern.

Die Feuerwehr verhindert ein Abbrennen der Stadtkirche.

1884

Als evangelische Stiftung öffnet das städtische Krankenhaus Bethania.

1889

Superintendent Kobmann willigt ein, für das Kaiser-Wilhelm-Denkmal (Porta Westfalica) zu sammeln.

1890-93

Umbauarbeiten an der Stadtkirche:
u.a. wird eine Dampfheizung eingebaut.

Am Turm wird außerdem eine weithin sichtbare Uhr angebracht.

Und bei den Ausschachten des Heizungskellers findet sich ein Schatz.

Zum Schmunzeln anregende Gebrauchsanweisung

1891

Pastor Bossart wechselt in die erste Pfarrstelle, Pastor Meyer in die zweite. Meyer ist Enkel des vorherigen Superintendenten Kobmann.

Der "Christlich-Deutsche Verein" fällt auf durch antisemitische Vorträge.
Es gibt Gegenstimmen, wenn auch weniger von der Kirche.

Der erste Kindergarten öffnet am damaligen Süd-Westende der Schulstr.

Ein Benefiz-Konzert zugunsten der Inneren Mission findet statt.

Glück hatte der Küster, als der Klöppel der Glocke sich beim Läuten löste.

1892

Erschreckend: körperliche Strafen für Kinder und Jugendliche werden als normal angesehen, auch wenn es Striemen und blaue Flecken gibt. Galt das auch für den Konfirmandenunterricht?

1894

Der Rasen um die Kirche wird eingezäunt und erhält die Warntafel:
"Rasen betreten und Steine werfen bei Strafe verboten."

Durch "fremdes Volk" (Industriearbeiter) wächst die Zahl der Evangelischen in Lengerich auf 6.200 Mitglieder .

In der Gemeinde werden 197 Kinder getauft, 136 Gemeindeglieder beerdigt. 51 Paare werden getraut. 137 Jugendliche werden konfirmiert.

1895

Pastor Bossart stirbt und wird mit großer Beteiligung der Bevölkerung begraben. Im Gedenken an ihn veröffentlicht der Allgemeine Anzeiger (Lengericher Zeitung) u.a. ein Gedicht von ihm aus früheren Jahren.

Carl Kerstein (Lengerich: 1895- 1933) und Rudolph Meyer (Lengerich: 1891- 1929)
sind als Pfarrer an der Stadtkirche tätig.

Erst jetzt wird die Gottesdienstliturgie auch in Lengerich umgestellt auf die preußische Kompromiss-Agende von 1834 mit den Melodien von Bortnjanski mit dem Erfolg, dass die Gottesdienstbesucher zunehmend auch zu der Eingangsliturgie kamen und nicht erst zum sogenannten  "2. Singen".

Es wird beschlossen, die bestehenden Privatplätze in den Bankreihen auslaufen zu lassen.

Ob bei der Feier von Bismarck's 80. Geburtstag im April oder beim Sedantag im September: die Pastoren mischen kräftig mit.

Das Durchschnittsalter in Lengerich beträgt 33 Jahre.

1896

Neben den lokalen Initiativen gibt es aber auch Anordnungen der Kirchenleitung, den jungen Nationalstaat zu bewahren durch "unwandelbare Treue gegen Kaiser und Reich... unter Führung des preussischen Herrscherhauses."

Die 7-Tage Woche gilt weiterhin als Norm. Allerdings: während der Gottesdienstzeiten (vormittags und nachmittags) darf weder gearbeitet werden noch dürfen Schaufenster einsehbar sein.

1897

Die Veranstaltungen des Jünglingsvereins zeigen eine deutliche Verflochtenheit von Glaube und Obrigkeit.

Nach einem Spendenaufruf (1896) kann das Vereinshaus an der Schulstr. 52 in den Dienst gestellt (Predigt Friedrich von Bodelschwingh) und von der Kirchengemeinde für Gemeinde-Veranstaltungen genutzt werden. Kirche beschränkt sich nicht mehr auf Gottesdienste und Konfirmandenunterricht.

1899 folgt die Umwandlung in eine GmbH, 1914 wird das Vereinshaus um einen Saal erweitert, 1922 von der Kirchengemeinde erworben. 

Aus der Schlussrechnung ergibt sich, dass Spenden die Hälfte der Baukosten getragen hatten.

Über viele Jahre bezuschusst die Gemeinde den Betrieb des Vereinshauses.

1896- 1911

Acht Fenster werden ausgetauscht (Windmöller-Stiftung, Familie R. Hölscher), darunter das Fenster Jesus bei Maria und Martha.

***

Der Chorraum der "reformierten" Stadtkirche vor 1893 mit den Tafeln:

  • Johannes 3,16: »Denn also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, damit alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben«
  • Lukas 10,27: »Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von allen Kräften und von ganzem Gemüt, und deinen Nächsten wie dich selbst.«

Das schwarze Tuch weist übrigens noch hin auf die reformierte Tradition des Abendmahltisches (statt Altar).

Die "unierte" Kirche nach Abschluss der Renovierung (1911) mit dem Fenster Jesus bei Maria und Marta (unten Reformatoren):

20. JAHRHUNDERT

Lengerich 1900: Sicht auf Lengerich über den Friedhof auf Stadtkirche mit Rathaus und den Schornsteinen von Banning, Rietbrock, W&H. Sicht auf Hohne von Westen mit u.a. vier Kalk- / Zementwerken, Katholischer Kirche, Bahnhof an der Lienener Str., Schule Hohne II.

 

"Das Alte stürzt, es ändert sich die Zeit,
und Lengerich ist für Neuerungen nicht abgeneigt."

So schrieb der Allgemeine Anzeiger - Zeitung für Lengerich am 20. Juli 1901.
Es werden Telefonleitungen gelegt, ein Gaswerk ist in Planung,
an der TWE wird mit Hochdruck gearbeitet.

Trotz schon langer vorhandener Stadtrechte
überflügelt erst jetzt die Industrie die bis dahin prägende Landwirtschaft.

vor 1903

Alter Zugang (Südportal)

1900

Die Begeisterung für das Kaiserreich kennt kaum Grenzen. Zu Kaiser's Geburtstag werden laut Zeitungsbericht den Kindergartenkindern "Kuchen und Wein" gereicht.

Die Kirchengemeinde reagiert auf das Wachstum der Gemeinde mit der Gründung einer Hilfspredigerstelle (für die Predigtdienste in den Wechter Schulen), die zum 1.10.1905 in eine ordentliche 3. Pfarrstelle umgewandelt wird (nun aber mit Schwerpunkt Hohne).

1901

Zwei weitere Glocken sollen das Geläut der Stadtkirche verstärken.

Bei finanziellen Schwierigkeiten verkauft das Prebyterium gern schon einmal Grundstücke.

Jünglingsverein und der 1898 gegründete Posaunenchor nutzen den Himmelfahrtstag zu einem gemeinsamen Ausflug.

Ein mit über 1.000 Menschen besuchtes Kreismissionsfest kann als Referenten Hofprediger Stöcker und Dr. Schreiber von der Rheinischen Mission als Redner vorweisen.

1904

Die Rektoratsschule wird der Stadt übergeben.

 

1907

entsteht in Hohne eine zweite Predigtstätte in der "Kleinkinderschule".

Der Jünglingsverein kann an 2 Abenden die "neue" Turnhalle
an der Schulstr. nutzen.

1908

Nach einem Vortrag gründet sich der national ausgerichtete, strengkonfessionelle "Evangelische Bund", geleitet von Pfarrer Kerstein, Th. Gempt und Lehrer Scheidt.

1909

Wurde bisher der Konfirmandenunterricht erst nach Abschluss der Schule gehalten, so beschliesst nun das Presbyterium, ihn mit dem Schulabgang enden zu lassen.

An den drei Unterrichtsorten (Sakristei, Vereinshaus, Hohner Vereinshaus) kommen ca. 400 Jugendliche zusammen. Unterrichtet wird vormittags, für die Konfirmanden (2. Jahrgang) kommt noch ein Nachmittagstreffen von 2 Stunden hinzu.

Nicht zu vergessen: "Nach der Konfirmation sind die Konfirmierten ein Jahr lang am ersten Sonntag eines jeden Monats zu einer seelsorgerlichen Besprechung zu versammeln." (Dienstanweisung für 3. Pfarrbezirk 1917)

1910 - 1911

Der Osnabrücker Kunstmaler Kruse erhält den Auftrag, die Kirche auszumalen.

Außerdem erhält die Kirche eine Gas-Beleuchtung.


In die Nordwand wird eine weitere, extrem selten genutzte Tür gebrochen.

Kaiserliches Pfarrhaus-Idyll (Familie Kerstein vor 1914)

Eine Kladde von 1911 zeigt auf, wer zu den monatlichen (!) Haussammlungen beigetragen hat zugunsten verschiedener diakonischer Einrichtungen. Gesammelt wurde in allen Ortsteilen.

1912

Dem "Jungfrauenverein" wird seine Mitgliedschaft bestätigt.

1913

Insgesamt 312 Jugendliche werden an erstaunlichen Wochentagen konfirmiert. Als Ziel wird nicht nur von der Zeitung formuliert: "Gottvertrauen und Vaterlandsliebe"...

 

1914

Die Glocken wurden im ersten Weltkrieg enorm strapaziert: bei jeder eintreffenden Siegesmeldung am Vormittag hatten sie mittags eine Stunde zu läuten, kam die Nachricht nachmittags, eine Stunde Geläut zwischen 17 und 18 Uhr. Die Kirchenleitung hatte dazu explizit aufgerufen.

Die Gemeinde hat 9.500 Mitglieder.

1915

Konfirmationsurkunde oder Wehrertüchtigung?

In jedem Fall zeigt sich eine hohe Identifizierung mit dem Kriegsgeschehen durch Trommeln, Gewehre, Kriegsfreiwillige, eisernes Kreuz sowie einem martialischen Luther.

Auch die kirchlichen Vereine fördern die Kriegsbereitschaft.

Von Kaiserin Auguste Viktoria erhält die "Frauenhülfe" eine Anerkennung für die Gründung eines Nachbarinnenvereins.

Mt 25,40: "Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan."

1916

Im Vereinshaus wird ein Tages-Hort für 40 Kindern eingerichtet, damit die Mütter der Kriegsindustrie zur Verfügung stehen können.

1917

Umzug des 2. Pfarramts (Pastor Kerstein) von der Münsterstr. 19
zur Bahnhofstr. 59 (ursprünglich Hohner Pfarrhaus).

 

Politische Bündnisse: rechtsradikale DVLP

Im September gründet sich die rechtsradikale Deutsche Vaterlandspartei (DVLP). Im Lengericher Ortsverein wird Pfarrer Kerstein zum Kassierergewählt. Ziel der Partei ist ein "deutscher Frieden, ... der der gebrachten Opfer wert ist" wie z.B. durch u.a. einer dauerhaften Annexion Belgiens und der Wiederherstellung des Kolonialreiches mit der zusätzlichen Herrschaft über den Kongo.

Weitere lokal aktive Mitglieder der DVLP sind Florenz Windmöller (Presbyter und Kirchmeister 1893-1917), Bürgermeister Muermann, Alwin Klein, Tischler Brockmann, Gutsbesitzer Erpenbeck...

Die gerade erst 16 Jahre alten Glocken werden im Juli 1917 bereits wieder vom Turm geholt zum Einschmelzen für Kanonen.

1918

Die patriotischen Predigten werden leiser.

Letztendlich Schuld am Kriegsausgang sei die Novemberrevolution, man werde "in Wehmut eingedenk bleiben der großen Verdienste" des Kaisers. Dem Kirchenvolk geschehe nun die "wohlverdiente Züchtigung".
(Lengericher Pfarrer und Superintendent Meyer
auf der Synode 8.1.1919),

denn "an die Stelle der idealen Güter [trat] die materielle Welt mit ihrem Glanz und ihrem Genuß... Unsere Nation starb von eigener Hand."
(Meyer  auf der Synode 10.9. 1919)

1919

Der Rektor der Stadtschule (Oberbeckmann) spielt die Orgel und leitet den Kirchenchor.

1921

Erst jetzt bilden sich zahlreiche Vereine, die in der Demokratie der Weimarer Republik keine Gefahr, sondern eine lang verwehrte Chance sehen (im Gegensatz zu den monarchistisch geprägten Pfarrern).

Diese Vereine sind nicht explizit kirchenfeindlich, sie leiten aber eine auch nach außen hin sichtbare Säkularisierung ein.

Außerdem hatte nach den Kriegserfahrungen das kirchliche Selbstverständnis "königstreu und fromm" viel von seiner Strahlkraft eingebüßt.

Superintendent Meyer's Beobachtung: der Kirchenbesuch lasse doch
"sehr zu wünschen übrig."

1924

Nicht nur in Lengerich hält sich die Uneinsichtigkeit über selbstverschuldetes Kriegsleid, wie u.a. der oben genannte Aufruf zeigt.

Welch Ausmaße die Geschichtsverzerrung nehmen konnte, zeigt sich auch am 1. Entwurf für ein Kriegerdenkmal in Hohne. Architekt Schöler (1922):

"das Vaterland (der Adler) dankt seinen Helden mit dem verdienten Lorbeer. Dieser Lorbeer kann und darf nicht genommen werden, das ganze deutsche Volk hat Anrecht daran, deshalb beugt er sich - denn auch den Ruhm der reinen, blanken Waffe, der ehrlicher Gesinnung möchten uns die  Feinde rauben - wie in schützender Wut über den seinen Helden gespendeten Lorbeer..."

1925

Wegen rechtsradikaler oder antisemitischer Einstellungen wird keine Kirchenzucht geübt  (Ausschluss vom Abendmahl). Anders verhält sich das Presbyterium, wenn Gemeindeglieder katholisch heiraten.

50 Jahre zieht sich ein Streit zwischen des Anwohnern des Kirchplatzes und der Kirchengemeinde. Es geht um den alten Kastanienbestand auf dem ehemaligen Friedhof. Die Anwohner sind den "Urwald leid. Selbst im Sommer müssten sie in einem "muffig-stinkenden Eiskeller" wohnen.

 

Erst 1967 verschwinden die Kastanien nach einem Sturm, bei dem eine von ihnen auf das damalige Küsterhaus fällt. Anstelle der Kastanien werden weitere Parkplätze angelegt.

1927

Die Orgel benötigt eine Reparatur, auch müsste die Beleuchtung auf elektrischen Betrieb umgestellt werden. Neue Glocken scheinen in weiter Ferne.

1928

Fritz Löwenberg wird konfirmiert, Kind einer christlichen Mutter und eines jüdischen Vaters. Auffällig im Kirchbuch: der Vorname war offensichtlich nicht bekannt.

1929

Nach 18 Jahren erhält die Stadtkirche erneut einen Innenanstrich.

Die Heizung wird erneuert und wegen Gasaustritts wird die Beleuchtung auf elektrischen Betrieb umgestellt.

 

Wieder zeichnet sich ein Generationenwechsel ab:

Hans Rübesam (Einführung Stadtkirche 25.8.) und
Wilhelm Brandes (Einführung Hohner Kirche 8.12.)
werden die neuen Pastoren.

1934 wird Werner Veerhoff folgen (Stadtkirche).

[ABSCHIEDSPREDIGT von Superintendent Meyer]

Genau in diese Zeit des Wechsels fallen die ersten Aktionen des antikirchlichen Tannenbergbundes.

Lengericher Zeitung

1930

Am Volkstrauertag (16. März ) wird das Mahnmal direkt an der Stadtkirche eingeweiht (Entwurf: Gustav Reich, Kamen; Figuren: Heinrich Bayer, Dortmund).

Bei den Redebeiträgen zur Einweihung herrschten jedoch andere Töne. Die Rede war von Helden und Heldinnen, wiederzuerlangender deutscher Größe, Opfer, Treue und Pflichterfüllung.

 

Damalige Meinung zum Denkmal: "Jedenfalls aber dient das wohl ausgeführte Werk zum Schmuck der Kirche."

Das alte Denkmal wird seitlich versetzt an den Kirchturm (bis Mitte der 50er, dann abgebrochen).

Denkmal an der Südseite: Zwei Soldaten schützen "Heimat und Herd." Währen der Linke als Fahnenträger gegen den Feind marschiert, blickt der jüngere Rechte zum Betrachter und fordert auf, mitzumachen. Der Zeit entsprechend wird durch die Frauengestalten erfahrenes Leid angesprochen, angerichtetes aber ausgeblendet.

Ebenfalls 1930: die neue Friedhofs-Gebühren-Ordnung. Wenig ökumenisch müssen z.B. Katholiken das Dreifache bezahlen.

1931

Die Gemeinde kauft das Küsterhaus gleich östlich neben der Stadtkirche.

Anscheinend trägt die Verstärkung der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen Früchte: so ist im Juli von 200 Kindergottesdienst-Teilnehmer:innen zu lesen, von Ausflügen, von Hand in Hand gehenden Aktivitäten mit dem CVJM.

Der Hohner Bezirk feiert im August sein 2. Missionsfest. Verwerfungslienien zu Pastor Südmeyer (Brochterbeck, später Mitglied der Deutschen Christen) zeichnen sich noch nicht ab.

Konflikt mit dem Tannenberg-Bund

Ab Januar fand in Lengerich eine heftige Auseinandersetzung über richtige Glaubensform mit Vorträgen und offenen Briefen statt. Angeheizt wurde sie vom Tannenbergbund. Bemerkenswert einig gingen die Kirchengemeinden gemeinsam mit der lokalen NSDAP dagegen an.

Kopf des Tannenbergbundes war das Ehepaar Ludendorff. Hatte er nach einem (erfolglosen) Putschversuch Reichspräsident werden sollen, so besetzte sein ehemaliger Mitputschist Hitler diesen Posten mit sich selbst (1924). Ludendorff bezichtigte Hitler daraufhin ein "Agent überstaatlicher Mächte" zu sein und öffnete sich für fast jede Art von Verschwörungstheorie. Unabhängig davon prangerte er Hitler der Willkür und einer grenzenlosen Gewaltbereitschaft an.

Im Gegensatz zu Hitler, der sich als Wahrer eines schwammigen, überkonfessionellen "praktischen Christentums" präsentierte, war Ludendorff 1927 aus der Kirche ausgetreten und propagierte mit seiner 2. Frau Mathilde einen völkisch-esoterischen, antisemitischen "Deutschen Gottglauben" (Tannenbergbund und Deutschvolk).

Im Oktober / November schaltet sich die Kirchengemeinde ein.  So lädt Pastor Rübesam am 25. Oktober ins Vereinshaus zu einer Veranstaltung mit dem Thema: "Gehört das Alte Testament noch in die Bibel des heutigen Menschen?"

Als Referenten konnte er gewinnen:

Vischers Hauptthese: ohne das Alte Testament wird die Sicht auf Jesus Christus als Messias unscharf.

Nicht nur beide im Wettstreit stehenden lokalen Zeitungen beobachten die Veranstaltung genauestens (vgl. Lengericher Zeitung, Tecklenburger Landbote)

Der Tannenbergbund Gau Osnabrück bemerkt diese Entwicklung und schickt Heinrich Langkopp als Ihren Vertreter nun an gleich sechs aufeinander folgenden Tagen auf Vortragsreise in den Kirchenkreis Tecklenburg.

Selten einig halten NSDAP und Kirchen dagegen:

  • Höste, Westerkappeln: NSDAP
  • Lienen: NSDAP / Pastor Smend
  • Ladbergen: die Pastoren Wollschläger, Rübesam

 

Erneuter Versuch: dieses Mal schickt der Tannenbergbund den Tierarzt Dr. Hurlbrink. Er trifft auf einen wohl vorbereiteten Pastor Rübesam.

Dieser reibt sich besonders an Person und Aussagen von Mathilde Ludendorff und fordert alle bekennenden Christen auf, mit ihm den Saal zu verlassen. Mehr als die Hälfte der Anwesenden folgte ihm zum Gesang: "Ein feste Burg ist unser Gott..."

 

Berichterstattung:

 

6. Dezember: Gemeinsamer Protest von Kirchengemeinde und Verein für Handel und Gewerbe. Durch die Anstellung einer katholischen Lehrerin an der Berufsschule sehen sie den Proporz zwischen Evangelischen und Katholiken gefährdet.

Es ist beeindruckend zu sehen, was die kirchliche Jugendarbeit im CVJM an Programm bereits beim Elternabend am 3. Advent (13. Dezember) anbieten konnte.

1932

Bei den Wahlen zeigt sich ein deutliches West-Ost-Gefälle. Erreicht die NSDAP über 50% in Wechte, Stadt, Settel, Ringel, so gelingt ihr das in den anderen Stadtteilen nicht. In Intrup und Hohne sinkt der Stimmenanteil sogar auf unter ein Drittel.

 

In Vorbereitung auf die preußischen Kirchenwahlen entstehen am 26. Mai die Richtlinien der "Glaubensbewegung Deutsche Christen ":

 

Wir kämpfen für einen Zusammenschluß der im „Deutschen Evangelischen Kirchenbund“ zusammengefaßten 29 Kirchen zu einer Evangelischen Reichskirche...

Wir stehen auf dem Boden des positiven Christentums. Wir bekennen uns zu einem bejahenden artgemäßen Christus-Glauben, wie er deutschem Luther-Geist und heldischer Frömmigkeit entspricht...

Wir verlangen eine Abänderung des Kirchenvertrages (politische Klausel) und Kampf gegen den religions-und volksfeindlichen Marxismus und seine christlich-sozialen Schleppenträger aller Schattierungen...

Wir sehen in Rasse, Volkstum und Nation uns von Gott geschenkte und anvertraute Lebensordnungen, für deren Erhaltung zu sorgen uns Gottes Gesetz ist. ("Halte deine Rasse rein!")...

Wir wissen etwas von der christlichen Pflicht und Liebe den Hilflosen gegenüber, wir fordern aber auch Schutz des Volkes vor den Untüchtigen und Minderwertigen...

In der Judenmission sehen wir eine schwere Gefahr für unser Volkstum. Sie ist das Eingangstor fremden Blutes in unseren Volkskörper...

Wir wollen eine Evangelische Kirche, die im Volkstum wurzelt, und lehnen den Geist eines christlichen Weltbürgertums ab. Wir wollen die aus diesem Geiste entspringenden verderblichen Erscheinungen wie Pazifismus, Internationale, Freimaurertum usw. durch den Glauben an unsere von Gott befohlene völkische Sendung überwinden...

Auch in Lengerich wird über diese Aussagen gestritten.

Vom 28.11. bis 4.12. findet die "Abendsingewoche" statt.

22% der Lengericher Bevölkerung sind arbeitslos.Besonders hart trifft es die Zementwerke: im Dezember 1932 sind nur noch 28 Mitarbeiter in Werk I beschäftigt. Erst mit der Errichtung des Westwalls (1936-1940) gingen beide Werke wieder in Vollproduktion.

 

Stadtkirche Teil 3

 

*     Bilder mit freundlicher Genehmigung von Fotohaus Kiepker
*** A. Ludorff 1893?
Zeitungsartikel weitgehend aus: https://zeitpunkt.nrw