Stadtkirche 3

BEKENNENDE KIRCHE

1933

Bei den Märzwahlen verfehlt die NSDAP zwar die absolute Mehrheit, durch eine Koalition mit der DNVP kommt Hitler dennoch an die Macht.

Der vom Zentralkomitee ausgerufene Boykott jüdischer Geschäfte am 1. April wird auch in Lengerich befolgt. Er zielt auf alle jüdischen Geschäfte (Meyer, Albersheim, Mildenberg, Gutmann, Neufeld).

Ende April soll ein "Dreimännerkollegium" einen Entwurf für eine Verfassung der neuen, reichsweiten evangelischen Kirche erarbeiten. Hermann Kapler (uniert) gehörte ihm an wie auch der lutherische Landesbischof August Marahrens und der reformierte Studiendirektor Hermann Albert Hesse.

Obwohl die Deutschen Christen nicht in die Beratungen einbezogen werden sollten, entsandte Hitler am 25.04.1933 den Deutschen Christen Ludwig Müller in das „Dreimännerkollegium“.

Am 20. Mai wurde das "Loccumer Manifest" vorgestellt, das für die künftige Leitung der zu vereinigenden Landeskirchen einen gemeinsamen lutherischen Reichsbischof und ein Geistliches Ministerium vorsah.

Am 1. Mai  (Montag!) finden in allen evangelischen und katholischen Kirchengemeinden Lengerichs Festgottesdienste statt. Anschließend werden per Lautsprecher an den Kirchen die Reden von Goebbels und Hindenburg übertragen.

Pastor Rübesam wird als Sprachrohr der Deutschen Christen (!) als Fachberater für den Kreis berufen (Parteimitglied seit 27.4.1933).

Am 26. Mai 1933 gelingt es der Jungreformatorischen Bewegung gegen Ludwig Müller Friedrich von Bodelschwingh als Reichsbischof durchzusetzen.

Die Unterschriften zu seinen Gunsten aus Hohne sind erhalten.

Auffällig an dem Unterstützungsaufruf der Jungreformatoren für von Bodelschwingh ist die Weglassung ihres Programmpunktes vom 9. Mai:

Wir lehnen im Glauben an den Heiligen Geist grundsätzlich die Ausschließung von Nichtariern aus der Kirche ab.

 

Von Bodelschwingh tritt jedoch auf Druck der Nationalsozialisten und wegen der Uneinigkeit der Landeskirchen bereits am 24. Juni zurück.

Am selben Tag wird August Jäger (seit Mai Leiter der Kirchenabteilung im Kulturministerium) von der Regierung mit der komissarischen Geschäftsführung der preußischen Kirchen beauftragt. Der DC Pfarrer Bruno Adler ist sein Bevollmächtigter für Westfalen.

Ohne Verzug beginnt der Theologe Karl Barth seine prägende Schrift gegen den Totalitarismus des Nationalsozialismus:
"Theologische Existenz heute. "

Seine Kritik gilt nicht nur den Deutschen Christen, sondern auch den Jungreformatoren besonders wegen des am 23. Juni verfassten "Burgfriedens" mit den Deutschen Christen:

"Sieht man sich das alles an, was die Jung-Reformatorischen nach ihren eigenen Erklärungen schließlich als Streiter für Bodelschwingh in den Gegensatz zu den "Deutschen Christen" und in den Bischofskrieg geführt hat - wirklich was bleibt als Kampfobjekt zuletzt übrig als die Vorstellung von der formalen Selbständigkeit der Kirche gegenüber dem Staat und den politischen Einflüssen, die sie durch die "Deutschen Christen" und durch die Kandidatur Müller mit Recht für bedroht hielten...

Zu Baumeistern einer ernsthaften Erneuerung der Kirche dürften beide gleich wenig berufen sein...

Was wir heute in erster Linie brauchen, ist doch ein geistliches Widerstandszentrum, das zu einem kirchenpolitischen erst Sinn und Verstand geben würde. Wer das versteht, der wird heute nicht einen Kampf, sondern ein sehr schlichtes: Bete und arbeite! auf sein Programm setzen...

Wir versündigen uns nicht nur an Gott, sondern auch an diesem Volk, wenn wir anderen Idealen und Aufgaben nachgehen, die nun eben uns nicht aufgetragen sind...

Wenn doch der deutsche evangelische Theologe wach bleiben oder, wenn er geschlafen haben sollte, heute, heute wieder wach werden wollte!"

Am 26. Juni suspendiert Jäger den preußische Oberkirchenrat (Berlin) und die den Kirchenprovinzen vorstehenden Generalsuperintendenten wegen "Volksverats." Gleichzeitig werden "mit sofortiger Wirkung sämtliche gewählte kirchlichen Vertretungen" aufgehoben und mit DC Leuten ersetzt.

Zwei Tage später besetzt die SA im Auftrag des späteren Reichbischofs Müller die Kirchenzentrale in Berlin.

Erst ein offener Brief Hindenburgs (Erscheinungsdatum 1.7.) setzt diesem Treiben ein vorläufiges Ende.

Für Lengerich gilt noch im Juni:

Am 2. Juli predigt Pastor Rübesam: die neue Regierung sei alternativlos, Christen seien Hindenburg und Hitler zu Dank verpflichtet, weil nur sie vor Bolschewismus und "Zerrissenheit" bewahrten. Eher hypothetisch und kaum konkret warnt er auch vor Übergriffen des Staates (Predigtauszug).

 

Vier Tage später kündigt Innenminister Frick an, in Kürze seien alle kirchlichen Gremien mit 70% DC zu besetzen.

Am 11. Juli wird die Verfassung der reichsweiten "Deutschen Evangelischen Kirche" unterzeichnet, da sich Deutsche Christen und Jungreformatoren hier einig sind.

DEK Verfassung

Ernennung und nicht Wahl soll das Prinzip bei der Besetzung kirchlicher Gremien werden.

Die letzten Kirchenwahlen sollen zukünftig Richtschnur sein: entsprechend dem Ergebnis seien nun 70% der Mitglieder in kirchlichen Gremien mit Deutschen Christen (DC) zu besetzen.

RICHTUNGSWECHSEL

Durften die Deutschen Christen in Lengerich anfangs noch mit Fahnen in den Gottesdienst marschieren, so berichtet der Tecklenburger Landbote am 12. Juli über ein Referat von "Pg. Pfarrer Rübesam" über die Unvereinbarkeit von Deutschem Christentum und evangelischer Kirche. Eine "artgemäße" Verkündigung sei eine unstatthafte Verkürzung.

Pfarrer Rübesam realtiviert die Aussage jedoch am 24. Juli trotz Unterstützung einiger Kollegen.

Im Vorfeld der Kirchenwahlen werben die Lengericher Pfarrer für das "ungekürzte Wort Gottes", eine strikte Trennung von Kirche und Staat und positionieren sich gleichzeitig "Für den Staat Adolph Hitlers!"

2 Tage vor der Wahl (am gelingt den Deutschen Christen (DC) ein taktischer Winkelzug: alle Wahl-Listen mit dem Titel "Evangelische Kirche" werden verboten.

Damit hat auch die Ev. Kirchengemeinde Lengerich keinen gültigen Wahlvorschlag mehr. Pastor Rübesam wagt sich in die Höhle des Löwen, geht zur Wahlversammlung der DC bei Maug und weist die DC Lengerichs darauf hin, dass formalrechtlich auch ihr Wahlvorschlag ungültig ist.

Beide Gruppen einigen sich auf den ursprünglichen Wahlvorschlag der Kirchengemeinde, "da auf dieser Liste niemand steht... (der) der Glaubensbewegung "Deutsche Christen" unerwünscht sei."

Bereits am Tag der Kirchenwahl 23. Juli  - also deutlich vor Gründung des Pfarrernotbundes (21.9.) und der Kundgebung im Berliner Sportpalast (13.11.) - beschließt das Presbyterium:

    "Auswärtigen Geistlichen,
    die Deutsche Christen oder Gegner der bekennenden Kirche sind, 
    werden die Kirchen und Vereinshäuser unserer Gemeinde 
    für Gottesdienste, Amtshandlungen und Vorträge
    nicht  zur Verfügung gestellt."

Eigene Gottesdienste der DC wird es in Lengerich erst ab 1937 geben.

Im Nachgang zum Vortrag vor der NS-Frauenschaft druckt der Tecklenburger Landbote am 3. August ausführliche Stellungnahmen der NSDAP und bezichtigt Pfarrer Rübesam des Seitenwechsels.

 

Bereits am 29. Juli hatte die NSDAP verfügt, dass aber auch alle Zeitungsartikel zuerst von ihr zu genehmigen seien. Spätestens ab diesem Stichtag gilt eine starke Zensur auch in Lengericher Veröffentlichungen.

Im Anzeigenteil gelingt es der Kirchengemeinde dennoch, wenigstens auf ihre Veranstaltungen hinzuweisen.

Im August wird Kattenvenne reger Treffpunkt der Tecklenburger Pfarrer bei Pfarrer Pabst. Aus Lengerich sind die Pfarrer Rübesam (Stadtkirche) und Brandes (Hohne) dabei. Ziel der Treffen ist die Herausgabe eines sogenannten "Tecklenburger Bekenntnisses".

Durch Bonhoeffer vermittelt liegen die Tecklenburger Thesen spätestens am 18. August den Verfassern des Vorentwurfs des Betheler Bekenntnisses vor (Merz, Bonhoeffer, Bodelschwinghs Sekretär Gerhard Stratenwerth, der Erlanger Theologe Hermann Sasse sowie der seit Mai beurlaubte Betheler Theologe Wilhelm Vischer).

Ende August wird deren Vorentwurf zur Augustfassung durch die Erweiterung um das Kapitel "Kirche und die Juden" (Verfasser: Wilhelm Vischer).

 

Das Tecklenburger Bekenntnis bleibt hinter diesem Artikel zurück (wie auch die Endfassung des Betheler Bekenntnisses und die Barmer Erklärung)

Politische Enthaltsamkeit

In der Tecklenburger Tischvorlage für die westfälische Provinzialsynode wird u.a. für eine strikte Trennung von Staat und Kirche plädiert.

Eine inhaltliche Nähe zur jungreformatorischen Bewegung ist deutlich, denn die Kirche sei auch bereit, durch die erfolgte Abwehr des Bolschewismus dem neuen Staat  "ihre ganze Kraft und Liebe zu schenken."

Auf der Kreis-Synode (15.8.) werden die Thesen 1-3 einstimmig angenommen zur Weiterleitung an die Provinzialsynode.

 

Nicht nur auf der Kreis-Synode, sondern auch auf der Provinzial-Synode (22.- 24.8. Soest) wurde die Diskussion ausgesetzt über die Thesen: 

   4. Unsere Stellungnahme zum national-sozialistischen Staat  
   5. Unsere Stellungnahme zu den "Deutschen Christen"

Damit entfiel u.a. auch die Auseinandersetzung über: "Wir müssen aber auf den Unterschied achten, der zwischen dem Verhalten des Staates zu seinen rassefremden Gastvölkern und dem der Kirche zu den an Christus gläubig gewordenen Gliedern des Volkes Israel besteht..."

Von besonderer Bedeutung ist die Abkehr vom Führerprizip und die Umdefinierung von Gemeindeleitung in Punkt 3:

Durch die Rückbesinnung auf eine radikale "presbyterial-synodale Grundlage" wird der "Abendmahlsgemeinde" und besonders deren Presbyterium und dem von ihm benannten Helfern die "Erfüllung der Missionsaufgabe der Gemeinde" zugetraut ("Jugendpflege, Wortverkündigung außerhalb des Gemeindegottesdienstes, Hilfe im Kindergottesdienst, freiwillige Krankenpflege, Verwaltung von Nebenkassen usw."). 

Die Rolle des Pfarrers: "im besonderen soll er sich die geistliche Vertiefung der Abendmahlsgemeinde und ihre Ausrichtung zum Dienst innerhalb der volkskirchlichen Gemeinde zur Aufgabe machen."

Als Hauptaufgabe der Superintendenten wird "die geistliche Vertiefung und die theologische und berufliche Fortbildung der Pfarrer" genannt.

Konsequent wird weiter ausgeführt: auch ein lediglich dem Zeitgeist geschuldetes Bischofsamt kann "nur beruhen auf dem Amt der Wortverkündigung."

September: Auf der "Braunen Synode" der preußischen Landeskirchen wird die Einführung des Arierparagraphen für den kirchlichen Dienst befürwortet. Zuvor hatten der westfälische Präses Koch und andere Mitglieder die Synode unter Protest verlassen.

Gegen den Arierparagraphen bildet sich spontan der "Pfarrernotbund", der jedoch erstaunlich schnell andere Themen priorisiert.

1. Oktober (Tag des deutschen Bauern): SA- und Stahlhelmfahnen in der Stadtkirche

Für Sonntag, 12. November , sind "Wahlen" angesetzt. Die gleichgeschaltete Presse berichtet ausführlich, wie die Bevölkerung abstimmen "muss" (s.o.). Zuvor abgehaltene Schulungen, Massenkundgebungen, Fackelumzüge und selbst Radioübertragungen während der Arbeitszeit sollen bewusst die Wähler lenken.

Zwei "Miesmacher" wurden verhaftet. Das Ziel von mehr als 90% Zustimmung wird erreicht werden.

Zuvor hatte sich am 9. November Bruno Adler gemeldet. Seine Parteinahme ist eindeutig.

Ob zu diesem Zeitpunkt die Lengericher Pfarrer inhaltlich seinem Wahlaufruf nahestanden, ist zu vermuten (s.u.), aber nicht nachweisbar.

Am 10. November beschließt das Presbyterium, "sich in Sachen des Bekenntnisses und der darauf beruhenden Ordnungen" unter den reformierten Bund zu stellen.

Zwei Tage nach der Reichstagung der Deutschen Christen im Berliner Sportpalast verpflichten sich am 15. November die Lengericher und Hohner Presbyter,

    "die Heilige Schrift alten und neuen Testamentes
     und die Bekenntnisse der Väter ...
     jedem Ansturm gegenüber [zu] verteidigen."

In der Stadtkirche werden fortan nachmittags regelmäßig Bekenntnis-Gottesdienste in Andachtsform gehalten.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

In der Jugendarbeit werden neue Wege eingeschlagen. Waren 1930 erfolgreich Krippenspiele in der Adventszeit eingeführt worden, so wurde sich nun auch an andere Themen gewagt.

Bei all dem wird nach einer friedlichen Koexistenz gesucht. So wird am 18.11. der morgendliche Kindergottesdienst verschoben zugunsten eines DC Gottesdienstes an der Post. Nachmittags wird aber das Schattenspiel Rumpelstilzchen trotzdem aufgeführt.

27. November: Nur wenige Tage nach seiner letzten Predigt am Ewigkeitssonntag stirbt Pfarrer Kerstein. Seine letzten Tage waren aufwühlt: mit der Größeren Gemeindevertretung hatte er sich öffentlich in einem Telegramm gegen die Sportpalastrede der Deutschen Christen gewandt und den Reichsbischof Müller zu entschiedenem Einschreiten aufgefordert (vgl. Tecklenburger Landbote 23.11.1933). Bis Ende April gabe es keinen Ersatz für ihn. So gut es ging mussten seine Aufgaben von Pfarrer Rübesam und Vikar Sibrasse aufgefangen werden. Auch sprang Pfarrer Brandes aus Hohne mit ein.

Der Totensonntag in Lengerich war geprägt von einem Aufmarsch der SA zum Gedenken an Hans Rickmers und der am Montag beginnenden, kirchenkreisweiten "Kirchlichen Aufbauwoche"  (vgl. Tecklenburger Landbote 25.11.1933)

 

Ausgerechnet in dieser Zeit der personellen Unterbesetzung setzte die NSDAP an, sich die Kirchen einzuverleiben (nach Verbot und Verfolgung der politischen Gegner: Kommunisten, Sozialdemokraten etc.) .

 

War bisher das Ziel eher gescheitert, die Landeskirchen aufzulösen (zugunsten einer Reichskirche unter einem Bischof), so ging es nun Schlag auf Schlag. Sozusagen als Weihnachtsgeschenk leitet Reichsbischof Müller die komplette Evangelische Jugend weiter an BDM und Hitlerjugend:

1934

Am 26. Januar ernennt sich Reichsbischof Müller zum Landesbischof der evangelischen Kirche der altpreussischen Union (Saarbrücken bis Königsberg). Dadurch wird er der Vorgesetzte auch für Westfalen.

 

 

Den Jahrestag der Machtergreifung feiern die Lengericher Pfarrer mit:

Ob schon für diesen Anlass jeweils zwei Fahnen für Stadtkirche und Hohner Kirche angeschafft wurden: eine in Schwarz-Weiß-Rot und eine Hakenkreuzfahne?

Das Verhältnis zum NS-Staat scheint weiterhin positiv zu sein, gewehrt wird sich hauptsächlich gegen eine Einmischung des Staates in innerkirchliche Angelegenheiten.

So werden in den Vereinhäusern Stadt und Hohne Räumlichkeiten überlassen für BDM, Jungvolk und Deutsche Angestelltenschaft.

Schon seit dem 8. Januar kann der Reichsbischof missliebige Pastoren maßregeln, indem er sie in den Wartestand versetzt oder beurlaubt.

Am 26. Januar kommt es zu einer Unterredung zwischen Hitler und 14 Kirchenvertretern (7 BK, 7 DC). Unter ihnen der Leiter des Pfarrernotbundes, Pfarrer Niemöller. Göring hatte dessen Telefon abhören lassen und berichtete von Niemöllers Versuch, über den Reichspräsidenten Hindenburg in Kirchenfragen Hitler auszubooten. Danach würde dieser "vom Reichspräsidenten die letzte Ölung empfangen."

Es ist verbürgt, dass Hitler einen Wutanfall bekam. Der Reichsbischof reagierte prompt mit der Beurlaubung Niemöllers. Viele Pfarrer distanzierten sich von Niemöller und traten aus dem Pfarrernotbund aus.

Ab dem 13.2.1934 ist Herr Lunau angestellt, um aus den Lengericher Kirchenbüchern Ariernachweise zu erstellen. Ab Juli übernehmen diese Aufgabe nach einander die Vikare: Siebrasse, Braun, Fenge, Zipp, Wurm, Müller, Kallenbach, Goudefroy.

2. März: Unterordnung der Kirchen der Altpreussischen Union unter die Reichskirche. Die demokratischen Vertretungsformen werden abgeschafft, bzw. vom Bischof ernannt. Kommt bei Entscheidungen keine Einstimmigkeit zustande, wird nicht nach Mehrheitsverhältnissen entschieden, sondern die Stimmen seien "zu wägen".

Ein Burgfrieden mit den Jugendorganistionen der NSDAP wird gesucht: nur noch alle 2 Wochen veranstaltet die Kirchengemeinde eine "Gemeinde-Jugend-Bibelsstunde (nach Vereinbarung mit der HJ und dem BDM)."

Für die gerade aufblühende, gemeindliche Jugendarbeit mit Pfarrer Rübesam war das ein Rückschlag.

"Wir sind ja hier langsame Leute,
aber es kommt doch einmal"

 

lautet am 10. März ein Kommentar zur Versammlung von 10 Pfarrern und 60 Presbytern des Kirchenkreises im Hohner Vereinshaus.

Eine Einigung wird erzielt zur Gründung einer synodalen Arbeitsgemeinschaft. Außerdem werden fünf Abgeordnete und drei Stellvertreter für die westfälische Provinzialsynode gewählt.

Diese wird aber am 16. März polizeilich aufgelöst. 

 

Am 23. März erklärt sich Bischof Adler (DEK Münster) als Nachfolger des westfälischen Präses Koch. Diesem weiterhin zu folgen sei "Ungehorsam gegen die Reichskirchengesetze" und "eine Schädigung des Ansehens unseres jungen nationalsozialistischen Staates."

Ende März stehen in der Kirchengemeinde die Konfirmationen vor Ostern an.

 

Einen Monat zuvor hatte Reichsbischof / Landesbischof / Präses Müller verfügt:

 

 

 

 

 

 

Dr. Kinder

Es wird offensichtlich, dass es den DC nicht nur um Leitungsfragen, sondern um jedes einzelne Kirchen-Mitglied geht.

(vgl. Dortmunder Versammlung der DC)

Der Reichsbischof Müller ernennt Bruno Adler zum Landesbischof Westfalens. Er soll gleichzeitig Bischof und Präses sein.

Die Rechte und Befugnisse von Provinzialsynode und Provinzialkirchenamt werden stark eingeschränkt.

Am 9. April unterstellt sich das Lengericher Presbyterium "der geistlichen Leitung der westfälischen Bekenntnissynode."

Maßregelungen - wie in diesem Artikel genannt - gegen Pfarrer und Superintendenten blieben in der Kirchengemeinde und im Kirchenkreis weitgehend aus.

19. April : Pastor Brandes vertritt Westfalen bei der Tagung des reformierten Konvents in Osnabrück.

 

Sonntag 29. April:
Pfarrer Veerhoff hält seinen ersten Gottesdienst
in der Stadtkirche.

Damit sind alle Pfarrstellen wieder besetzt.

4. Mai : Auf Initiative der Kreisleitung der DC spricht Landesbischof Adler in der Münsterstr.39 (im damaligen Festsaal Maug).

Bekenntnisaufruf **

Am 5. Mai folgt ein Tecklenburger Bekenntnisaufruf, der u.a. von allen Lengericher Pfarrern unterzeichnet wird. In ihm wird besonders die Ablehnung eines hierarchischen Kirchenaufbaus ("Priesterherrschaft") begründet.

Gegenüber dem 1933er "Tecklenburger Bekenntnis" (besonders in den Thesen 4-5) ist hier auffällig der Rückzug auf innerkirchliche Verhältnisse mit dem Verzicht auf eine politische Auseinandersetzung.

Bemerkenswert ist eine gewisse Aufgeschlossenheit für die Beibehaltung einer allerdings reformbedürftigen reichsweiten Kirche.

Nach dem Tod von Pfarrer Kerstein handelt es sich nun um die "jungen" Pfarrer Brandes, Rübesam, Veerhoff.

Die Nationalsozialisten wollen nach einem Jahr Regierung ihre Erfolge feiern. Sie bemerken jedoch Widerstand in einigen kirchlichen Gruppen. Diese werden verdächtigt, ein Sammelbecken der "Reaktion" zu sein. Auf Kreis- und Reichsebene wird mit Sanktionen gedroht.

Vom 29.- 31. Mai nimmt Pastor Brandes an dem Gemeindetag "Unter dem Wort" teil, bei dem u.a. die Barmer Theologische Erklärung entsteht.

 

Ab dem 18. Juli werden die Kirchenkollekten nicht mehr an das Konsistorium in Münster überwiesen sondern nach Bad Oeynhausen an Präses Koch (BK).

Die größere Gemeindevertretung stimmt dem zu mit 30 Stimmen und 3 Gegenstimmen.

29. Juni: Zusätzlich zur übervollen Stadtkirche verfolgen über 1.000 Menschen auf dem Kirchplatz den Tecklenburger Gemeindetag (Zeitungsartikel).

Carl Friedrich Banning stirbt am 26.7 . in den USA. Wenig später wird bekannt, dass er sein Vermögen fast ausschließlich der Stadt Lengerich vermacht.

Am 9.8. ist der Reichskommissar Jäger zuversichtlich, dass er die drei verbliebenen Landeskirchen (Bayern, Württemberg, Reformiert) in die DEK integrieren kann. Hier soll das Leitungsgremium entscheiden, nicht mehr die Abgeordneten wählen.

Präsident Hindenburg stirbt (2.8.), Adolf Hitler wird sich durch eine "Volksabstimmung" (19.8.) zusätzlich zum Kanzleramt das Präsidentenamt einverleiben.

Reichsbischof Müller unterstützt dies ausdrücklich, weil er in Hitler den Garanten sieht, dass "in der zuende gegangenen Epoche eine Zeit schwerer Heimsuchungen" überwunden werden könne.

Wurde 1933 in Reichsbischof Müller noch ein Verbündeter gegen die Auswüchse der DC gesehen, so ändert sich der Ton. Am 26. August wird in den Gottesdiensten in einer Kanzelabkündigung des (BK) Bruderrates verlesen:

... "Verantwortlich dafür, , daß es in unserer Deutschen Evangelischen Kirche bis hierher hat kommen können, ist ... besonders der zum Schutze der Verfassung der Deutschen Evangelischen Kirchen berufene Reichsbischof.... Darum erklären wir den Kirchen, den Gemeinden und ihren Gliedern in der Verantwortung vor Gott: Gehorsam gegen dieses Kirchenregiment ist Ungehorsam gegen Gott ..."

Oktober

Zeit der Konfrontation: zeitgleich zu den DC laden die drei Lengericher Pfarrer am 10. Oktober zu einer Gegenveranstaltung ein.

Die Landeskirchen von Bayern und Württemberg sollen zerschlagen, die Bischöfe abgesetzt werden.

Die Bekennende Kirche plant Protestmaßnahmen. Fortan schweigen die Glocken in den bekenntnistreuen Gemeinden, so auch im Kirchenkreis Tecklenburg.

20. Oktober Dahlemer Bekenntnissynode:

"Wir stellen fest: Die Verfassung der Deutschen Evangelischen Kirche ist zerschlagen. Ihre rechtmäßigen Organe bestehen nicht mehr. Die Männer, die sich der Kirchenleitung im Reich und in den Ländern bemächtigten, haben sich durch ihr Handeln von der christlichen Kirche geschieden.

Auf Grund des kirchlichen Notrechts der an Schriften und Bekenntnis gebundenen Kirchen, Gemeinden und Träger des geistlichen Amtes schafft die Bekenntnissynode der Deutschen Evangelischen Kirche neue Organe der Leitung. Sie beruft zur Leitung und Vertretung der Deutschen Evangelischen Kirche als eines Bundes bekenntnisbestimmter Kirchen den Bruderrat der Deutschen Evangelischen Kirche und aus seiner Mitte den Rat der Deutschen Evangelischen Kirche zur Führung der Geschäfte. Beide Organe sind den Bekenntnissen entsprechend zusammengesetzt und gegliedert.

Wir fordern die christlichen Gemeinden, ihre Pfarrer und Ältesten auf, von der bisherigen Reichskirchenregierung und ihren Behörden keine Weisungen entgegenzunehmen und sich von der Zusammenarbeit mit denen zurückzuziehen, die diesem Kirchenregiment weiterhin gehorsam sein wollen. Wir fordern sie auf, sich an die Anordnungen der Bekenntnissynode der Deutschen Evangelischen Kirche und der von ihr anerkannten Organe zu halten..."

 

Der Kirchenkreis Tecklenburg wird einen anderen Weg einschlagen:

Kirchenkreis-Synode 16.11.1934:

Superintendent Wollschläger und Synodalassessor Beccard treten zurück.

Die Bekennende Kirche wählt Pastor Brandes (Hohne) zum Superintendenten und Pastor Johann to Settel zum Synodalsassessor. 

Die Kirchenleitung in Münster hält dagegen mit August Hermann Johannes Hörstebrock als Superintendenturverwalter.

Statt sich einen Schaukampf zu leisten, kooperieren die beiden:

  • Brandes als Theologe und Seelsorger,
  • Hörstebrock als Verwaltungsleiter.

Zuvor hatten die Deutschen Christen auf Konfrontation gesetzt:

Lengerich:

Im Austausch für ein Mausoleum auf dem Friedhof für den Multi-Millionär Carl Friedrich Banning (+ 27. Juli, Pittsburgh, Ohio) stiftet seine Familie 4.000 Mark für zwei neue Glocken, die so lange im Besitz der Kirchengemeinde bleiben sollen, wie sie sich zur Bekennenden Kirche hält.

1935

Von den 12.539 Einwohnern Lengerichs wohnen 10.500 in den Außenbezirken.

Die ev. Gemeinde hat 10.378 Mitglieder.

Ab Gründonnerstag (18. April) wird in Abkündigungen und Fürbitten der reichsweit verhafteten Pfarrer und Presbyter gedacht.

Nachdem der Religionsunterricht an den Schulen gestrichen wurde, wird der Konfirmandenunterricht auf 3 Jahre verlängert.

1. Mai (Mittwoch)

Die Maifeiern beginnen für Erwachsene um 12 Uhr. Extra anberaumte Gottesdienste sind kein Bestandteil mehr der Maifeiern. Der Beginn der Gottesdienste wird dennoch vorverlegt.

Ab 1936 wird auf die Gottesdienste keine Rücksicht mehr genommen.

17.8. (Samstag)

Erich Gutmann wird von einem Mob von Hohne aus über die Bahnhofstr. (u.a. Pfarrhaus Veerhoff) zum Rathaus getrieben und in sogenannte "Schutzhaft" genommen. Die gegen ihn erhobenen Vorwürfe erweisen sich als haltlos.

26. September: Kirchen-Minister Kerrl soll nun den Kirchenkampf beenden. Er wird dazu einen Reichskirchenausschuss bilden.

Anfang Oktober soll die Broschüre "Die Freiheit der Gebundenen" beschlagnahmt werden.

Anders als bei den Pastoren Brandes und Veerhoff ist sie im Bezirk Rübesam erstaunlicher Weise erst zu einem Drittel verteilt.

29. September: Missionar Illing  wird nach Nias verabschiedet.

Nicht nur auf dem Bückeberg, auch in Lengerich sind Massenveranstaltungen zum Erntedank-Tag geplant.

Fast schon verzweifelt sucht sich die Kirchengemeinde eine Nische durch Vorverlegung des Gottesdienstes. In der Hohner Kirche wirken Posaunenchor und Frauenchor mit. Ob das reicht um Menschen von den anderen Veranstaltungen fern zu halten?

VKL

Im Gegensatz zu anderen Landeskirchen erlangt im Rheinland und in Westfalen die "Vorläufige Kirchenleitung" der Bekennenden Kirche eine offizielle Anerkennung.

1936

Grundstücke werden verkauft, um Turm und Kirchdach zu sanieren.

Die Jugendarbeit bleibt bis Kriegsende auf Bibelstunden alle 2 Wochen umgestellt (im Wechsel mit BDM, HJ). Die Männerkreise halten sich, die Frauenhilfen wachsen sogar (Wechte, Aldrup seit 1929, 1933 Settel, 1935 Schollbruch, 1936 Ringel, Niedermark).

Im Februar tagt die letzte Reichsbekenntnissynode (Bad Oeynhausen). Die Bekennende Kirche spaltet sich im März in den "Rat der evangelisch-lutherischen Kirchen" und "Vorläufige Kirchenleitung."

Für den 30. März sind erneut "Wahlen" angesetzt.

In Lengerich finden die Konfirmandenprüfungen statt trotz Verbots öffentlicher Veranstaltungen.

Die Wahlen enden mit 98% Zustimmung. Ob sich die Kirchengemeinde an die Anweisung gehalten hat, aus Dankbarkeit eine Stunde die Kirchenglocken zu läuten, ist nicht überliefert.

Bei den Feiern zum 1. Mai ist keine kirchliche Beteiligung mehr feststellbar.

Die bestellten Glocken erreichen am 11. Mai Lengerich. Bereits 1942 werden sie aber wieder zum Einschmelzen abgeholt (Festschrift zur Glockeneinholung).

Als Schriftleiter des Tecklenburger Sonntagsblatts erhält Pastor Rübesam in fast regelmäßigen Abständen Beanstandungen vom Propagandaministerium. Ziel: die Kirche soll sich aus der Politik heraushalten.

Meistens handelt es sich um erstaunliche Lappalien ("Graf Zeppelin war gläubiger Christ", ein General sei nicht als "a.D." gekennzeichnet, "der 'Stürmer' sei kein Parteiorgan" etc.).

Schärfer wird der Ton bei Verstößen gegen das Sammlungs-Monopol des Staates. 

Im Tecklenburger Sonntagsblatt (36/1936) finden sich immer noch antijüdische Aussagen wie: "Das Volk der Juden aber ist ein Fluch der Völker geworden, weil es den heiligen Willen Gottes verachtet hatte."

 

1937

Der Reichskirchenausschuss zur Gründung einer Reichskirche für ganz Deutschland erklärt sein Scheitern. Mit einem Erlass vom 15. Februar beruft Hitler eine Generalsynode ein und fordert Kirchenwahlen.

Anscheinend von der Entwicklung überrascht wird der zuvor geplante Auftritt von Reichsbischof Müller in Lengerich abgesagt.

In Lengerich wird weiterhin an einer Kooperation festgehalten. Um Konflikte zu vermeiden, werden die Gottesdienstzeiten am 21. Februar vorverlegt, um danach eine Teilnahme an dem groß angelegten "Heldengedenktag" zu ermöglichen.

Wenige Wochen später beginnt der Wahlkampf. So sind die Gemeindeglieder aufgefordert, Mitglied der Bekennenden Kirche zu werden. Innerhalb weniger Wochen unterschreiben hunderte von Gemeindegliedern. Unterschriften werden systematisch von Haus zu Haus gesammelt.

Ca. 700 Mitgliedskarten allein aus dem Pfarrbezirk von Pastor Rübesam sind im Gemeindearchiv erhalten.

Ende Juni wird jegliche Form von Wahlwerbung verboten. Die im Februar angekündigte Wahl wird nie stattfinden.

Im Fokus der Regierung steht seit einigen Monaten eher die katholische Kirche. Aber auch in der evangelischen Kirche kommt es zu Verhaftungen:

Martin Niemöller war 13 Jahre zuvor im Hohner Vereinshaus gewesen. Sein Vater hielt bereits 1915 im Vereinshaus (Stadt) einen Vortrag. Der Bruder Wilhelm hatte erst vor 3 Monaten in Lengerich zum Thema: "Evangelische Kirche, wohin?" gesprochen.

1938 (s.u.)  wird sich u.a. die Lengericher Kirchengemeinde intensiv für Niemöllers Freilassung einsetzen.

Die Deutschen Christen organisieren ihre eigenen Gottesdienste. Da ihnen die Kirchen verwehrt werden, treffen sie sich ab Ende August in der Mittelschule.

1938

Im Februar wedet sich das Presbyterium gegen Anordnungen des evangelischen Oberkirchenrates und betont, dass die Kirchengemeinde sich verpflichtet weiß, die presbyterial-synodale Ordnung "als unaufgebbares Erbe der Väter zu wahren." (ähnlich auch am 1.11.)

Nach einer Kanzelabkündigung (6. März) gegen die erneute Inhaftierung von Pastor Martin Niemöller und dessen Verlegung in das KZ Sachsenhausen (2.3.) reist am 7. März unter der Leitung von Superintendent Brandes eine sechsköpfige Delegation des Kirchenkreises nach Berlin, um sich (vergeblich) für Niemöllers Freilassung einzusetzen.

Weitere Delegationsmitglieder: Pastor Paul Herring (Wersen) und die Presbyter Wilhelm Beiderwellen (Wersen), Friedrich Harte (Velpe), August Lange (Westerkappeln), Friedrich Vogelsang (Hohne).

Am Ostermontag (18. April ) morgens um 5 Uhr brechen die Deutschen Christen in die Stadtkirche ein um Gottesdienst zu feiern und die zuvor vom Presbyterium verweigerte Konfirmation nachzuholen.

Am 22. April schreibt das Presbyterium durch Pastor Veerhof einen Brief an die Geheime Staatspolizei in Berlin, dass man weiterhin energisch gegen die Inhaftierung Niemöllers protestiert.

Im August sollen die Pfarrer als Quasi-Beamte den Treue-Eid auf Hitler schwören. Die Bekennende Kirche kommt dem nach, allerdings mit einer bedeutsamen Einschränkung.

Beim Erntedankfest 1938 (1 Tag nach Annexion des Sudetenlandes) ist zu beobachten, dass sich in Lengerich staatliche und kirchliche Organisationen aus dem Weg gehen. 5 Jahre nach der Machtergreifung braucht die NSDAP bei ihren Veranstaltungen keine Unterstützung der Kirchen mehr.

Wurde 1938 das zentrale Erntedankfest auf dem Bückeberg abgesagt, so entfallen ab 1939 auch auf lokaler Ebene die groß angelegten Erntedankfest-Feiern (in Lengerich nur noch Saalfeiern).

Hintergrund dürfte u.a. sein, dass die Propaganda umstellt von "Dankbarkeit" und als Folgerung "Treue" zu Adolf Hitler auf den kritiklosen, kriegstauglicheren Kadavergehorsam "Führer befiehl, wir folgen dir."

Am 5. September emigriert Erich Gutmann in die USA, Frau und Tochter folgen am 31. Oktober.

Am 9. November bleibt es in Lengerich zunächst ruhig. Die Familie Neufeld muss allerdings in der Nacht erleben, wie die Fensterscheiben ihres Schlachtergeschäfts an der Osnabrücker Str. eingeschlagen werden.

Für den 10. November  (wie auch in vielen anderen kleineren Städten) erfolgt nachmittags die staatspolizeiliche Anweisung, folgende Personen zu verhaften (bis 18.11.): 

  • Hermann Abrahamson (32 J.),
  • Eugen Albersheim (30 J.)
  • sowie Felix  und Norbert  Neufeld (42 bzw. 44 J.). 

Während der Verhaftung findet in direkter Nachbarschaft eine öffentliche Ratssitzung statt:

Noch am selben Abend wird die Synagoge geplündert wie auch das Haus und Geschäft der Witwe Lina ALBERSHEIM zwischen Römer und Stadtkirche (beide Söhne in Haft). Unter Gejohle steht das Haus bald in Flammen. Gelöscht wird nur bei der Stadtkirche und den Nachbarhäusern.

Zu Plünderungen und Vandalismus kommt es außerdem:

  • bei den Familien MEYER
    (im Haus Altstadt 18/20: Sofie und Helene),
  • MILDENBERG
    (im Haus Bahnhofstr. 9: Rika, Rosa, Julius),
  • ABRAHAMSON
    (im Haus Altstadt 16: Rosa, Selma, Hermann)
  • und erneut bei der Familie NEUFELD
    (im Haus Osnabrücker Str. 11/13: Emma, Selma und der neunjährige Werner).

1956 am Gemptturm: Reste der Synagoge (ohne Dach) und jüdischer Schule (Münsterstr. 23).

Das Schicksal anderer in Lengerich geborener Juden:

  • Jacob Kaufmann (68 Jahre)
    wird aus Wuppertal verschleppt (11. 11. - 15. 12. KZ Buchenwald ).

Ins KZ Dachau folgen

  • Otto Albersheim (18 Jahre)
    (17.11. - 12.12. von Essen),
  • Albert Mildenberg (47 Jahre)
    (17.11. - 23.12. von Mülheim),
  • Richard Kaufmann (34 Jahre)
    (15.11. - 19.12. von Saarbrücken).

Richard Kaufmann wird Dachau nicht überleben, er stirbt dort am 19. Dezember.

Kirchliche Stellungnahmen?

1939

74% der Bauern wirtschaften noch auf Flächen unter 10 ha.

Auf Anweisung des Konsistoriums dürfen die Deutschen Christen abwechselnd in Hohne und der Stadtkirche alle 8 Wochen ihre Gottesdienste halten.

Ein Jahr später werden die DC Gottesdienste wegen Einberufung des DC-Pfarrers und mangels Beteiligung wieder eingestellt.

Am 2. Juli ist Martin Niemöller 2 Jahre inhaftiert. Gottesdienste werden von den Pastoren Fenge (Stadt) und Superintendent Brandes (Hohne) gehalten. Für diesen Tag war eine weitere ausführliche Fürbitte für Martin Niemöller vorgesehen.

1940

Der Krieg, aber auch die Veranstaltungen der NSDAP rücken die Kirche immer mehr an den Rand.

2 Tage vor Pfingsten erfolgt der Überfall auf die BENELUX-Länder in Vorbereitung des Westfeldzugs (Frankreich). In Lengerich ist davon wenig zu spüren.

Am 21. September 1940 erfolgte der erste Abtransport von Patienten der "Provinzialheilanstalt Bethesda" nach Brandenburg.

Zwei weitere Transporte werden 1941 folgen.

Insgesamt wurden der „Euthanasie“-Aktion „T4“ 440 Menschen aus Lengerich zur Ermordung ausgeliefert (s.a. Lengericher Gedenkpfad).

1941

Die Kirchengemeinde stellt der Stadt in Aussicht, Baugrundstücke in der östlichen Widum zur Verfügung zu stellen sowie im nördlichen Bereich eine Muster-Kleingartenanlage zu genehmigen.

In der Nacht 8./9. Juli zerstören Brandbomben die Wohnhäuser / Gehöfte Arelmann, Löllmann, Haarlammert in Wechte.

Eine Woche später später (15.7. ) explodiert eine Luftmine in der Innenstadt. Turm und Fenster der Stadtkirche werden in Mitleidenschaft gezogen.

Bei den Beerdigungen stehen sich NSDAP und Bekennende Kirche gegenüber.

Zeitungsberichte über Bombenabwürfe waren verboten. Entsprechend halten sich Traueranzeigen über die Todesursache zurück.

Die Notiz über Pastor Veerhoffs Reaktion zeigt, dass Wissen über Abtransporte und Ziele der Aktion T4 in Lengerich durchaus vorhanden war. Hier genannt wird der 2. Transport vom 1. Juli 1941.
(s. Die Juden in den geheimen NS-Stimmungsberichten 1933-1945, Herausgegeben von Otto Dov Kulka und Eberhard Jäckel, S. 451)

 

Predigt Pastor Veerhoff 10.8.1941:

Wir haben also letztlich nicht mit irgendwelchen unentwirrbaren furchtbaren katastrophalen u. grauenhaften Ereignissen zu tun, die ein paar böse Menschen verursachen; der Sache Gottes stellen sich nicht nur ein paar übelwollende Weltanschauungen entgegen. Sondern hier handelt es sich um eine zielstrebig arbeitende persönliche Macht die unter dem Versteck ihrer unsichtbaren Tarnung mit unendlich raffinierten Lügen u. brutaler Gewalt Gott vom Thron stoßen will...Wir können aber dem Weltgeschehen nicht von der Warte eines christlich gefestigten Lebens zuschauen.

Die Bedeutung von 9. November, Erntedank und 1. Mai sind - im Vergleich zu Vorjahren - von der NSDAP im Vergleich herabgestuft. Eigentlich sind die Aktivitären auf den Nachmittag beschränkt. In Lengerich-Stadt werden allerdings die Jugendlichen doch schon morgens zur Teilnahme an einer zweifelhaften Kino-Vorführung verpflichtet, die den Einmarsch in die Sowjetunion rechtfertigen soll.

Ausschließlich in der Bahnhofstr. 17 leben die letzten in Lengerich verbliebenen jüdischen Bürger: 

  • Hermann Abrahamson ( 35 J.)
  • Emma Neufeld ( 76 J.),
  • Norbert Neufeld ( 47 J.),
  • Selma Neufeld ( 42 J.),
  • Werner Neufeld ( 12 J.)

Hinzu kommt  der litauische Zwangsarbeiter Abraham Antowil (46 J.), der direkt von seiner Arbeitsstelle bei der Seifenfabrick Rietbrock deportiert wurde.

Am 9. Dezember werden diese zunächst zum Gertrudenhof in Münster gebracht und 3 Tage später deportiert mit dem Sonderzug Münster-Osnabrück-Bielefeld ins Ghetto Riga.

Ebenfalls im Zug (ab Osnabrück bzw. Bielefeld) sind die Lengericher

  • Julie Meyer mit den Töchtern
    Emilie und Helene (Lengerich -> Sögel)
  • sowie Bertha Neufeld ,
    die eine Woche zuvor Norbert Neufeld geheiratet hatte
    und in Schötmar aufgegriffen wurde.

Von 1941- 44 gibt es nur noch insgesamt vier Sitzungen des Presbyteriums.

KRIEGSWIRTSCHAFT

1942

Baracken für russische Zwangsarbeiterinnen werden an der Schulstr. errichtet.

Mehrere Fabriken Lengerichs stellen auf Rüstungsgüter um
(Granaten z.B. bei Geier-Werken, W&H).

B&K Baracke für russische Zwangsarbeiterinnen (Schulstr. / Alwin-Klein-Str.)

Von den Lengerichen Juden, die in die Niederlande emigrierten,
werden 1942/43 inhaftiert und umgebracht:

  • Hugo Neufeld (33 J. Auschwitz)
  • Paul Neufeld (40 J. Auschwitz)
  • Hermann Abrahamsohn (67 J. Sobibor)
  • Rosa Abrahamson (77 J. Sobibor)
  • Emmanuel Löwenberg (73 J. Sobibor)
  • Sarah Klara Drokur (Löwenberg) (70 J. Sobibor)
  • Jeanette Löwenberg (65 J. Sobibor)
  • Resi Wolff (Mildenberg)  (23 J. Sobibor)

Zahlreiche Ermordungen von gebürtigen Lengerichern kommen hinzu in
Chelmno, Izbica, Theresienstadt, Buchenwald, Treblinka. 

Am 15. August richten Spreng- und Brandbomben Schäden an
in Wechte, Intrup (Nähe Badeanstalt) und Stadtfeldmark
(Gasthof Prigge: Ladberger Str. / Erpenbecker Str.).

1943

31. Januar: die 6. Armee in Stalingrad steht kurz vor der Kapitulation.

In der Stadt und in Hohne feiert die NSDAP mit ihren Organisationen den 10. Jahrestag der Machtergreifung. Unbeeindruckt halten die Pastoren zeitgleich ihre Gottesdienste (Brandes in der Stadtkirche, Veerhoff in der Hohner Kirche).

Unter Protest der Kirchengemeinde werden ab September 1943 im Vereinshaus (Schulstr. 52) 75 Kriegsgefangene untergebracht, die bei B&K arbeiten sollen. Die Gemeinde erhält dafür monatlich 100 RM.

Insgesamt werden in der Lengericher Industrie tausende Zwangsarbeiter*innen eingesetzt. Untergebracht sind sie in knapp 20 Lagern wie Schulstraße, Auf der Laar, Ringeler Straße, Rahestraße,  Lienener Straße. Hinzu kommen hunderte Zwangsarbeiter/innen auf den Bauernhöfen.

Teilweise unter Bewachung werden sie täglich zu ihren Schichten gebracht. Unter ihnen befinden sich über 100 Kinder unter 14 Jahren. Mindestens 48 Menschen überlebten die Zwangsarbeit nicht.

Zwangsarbeiterlager Auf der Laar / Fritz Gempt Str. *

Britische Luftaufnahme 1945 mit den Baracken Oppermann / Upmeier

Unvollständige Liste. So fehlen u.a. die Reichsbahn und die Gempt-Werke.

Gottesdienste und Gemeindegruppen können ungestört weiter geführt werden. Neu sind die Trauerfeiern für Soldaten der Reichswehr, die zum Teil schon vor Monaten an anderer Stelle begraben wurden.

Hinzu kommt ein Mangel an fast allem, selbst Kartoffeln. Wohl gibt es Weihnachtsbäume zu kaufen, Kerzen, Lametta eher nicht. An Spielwaren gibt es nur von HJ und BDM gebasteltete Sachen. Nach den vielen Haussammlungen der Jahre zuvor versuchen Menschen das Wenige zu tauschen, was ihnen geblieben ist:

1944

Ab März 1944 beginnen im alten Tunnel etwa 200 männliche Häftlinge des Konzentrationslagers Neuengamme mit Arbeiten für die Rüstungsindustrie.

Im April wird gestritten, wo die Zwangsarbeiter, Männer, Frauen oder deren Kinder zu beerdigen sind: LWL- Friedhof? Jüdischer Friedhof? Katholischer Friedhof?

Nicht nur in der Stadt, sondern auch in Hohne wächst die Zahl der Zwangsarbeiter. Hinzu kommen 49 Italiener im Zemetwerk Kleeberg und ca. 200 auf den Bauernhöfen.

Lager in der Innenstadt mit Personenzahl

Lager in Hohne mit Personenzahl (Rot: Zwangsarbeiter in Privathaushalten)

Nicht nur am 11.6. stören HJ-Gruppen den Gottesdienst.

1945

Am Dienstag, 13. März, wird der Ortsteil Hohne bombadiert von britischen und niederländischen Einheiten.

Trotz zersprungener Scheiben findet die Konfirmation am Sonntag statt. Um 7.30 Uhr, um evtl. Fliegerangriffen zuvor zu kommen.

 

Am Ostersonntag (1.4.) hängen an vielen Lengericher Häusern weiße Fahnen.

Ostermontag um 20 Uhr verkündete der britische Rundfunk die erfolgreiche Besetzung Lengerichs.

Hunderte von Zwangsarbeitern suchen auf eigene Faust einen Weg nach Hause.

 

Von den drei Pfarrern Brandes, Rübesam, Veerhoff war keiner inhaftiert oder zum Krieg eingezogen worden.

Rückblickend predigt Pastor Veerhoff am 21.11.1945 :

"Schuld liegt auf der Kirche, auf uns, denn wir wussten, dass der eingeschlagene Weg ins Verderben führte, und wir haben entweder überhaupt nicht oder nur recht zaghaft und leise gewarnt. Sind wir nicht zuletzt, als wir am lautesten rufen mussten, müde geworden und haben uns vor den Menschen mehr gefürchtet als vor dem heiligen Gott?

In jenen Jahren ist der bekennenden Kirche gewiss viel stilles Heldentum und Martyrium geschenkt worden. Aber hätte nicht gerade sie, die den Weg am deutlichsten erkannte, auch am deutlichsten reden müssen?

Vieles, vielleicht alles hätte verhindert werden können, wenn wir treuer zu unserem Glauben gestanden hätten, wenn nicht die Furcht, Brot und Amt zu verlieren größer gewesen wäre, als die Liebe zu unserem gefährdeten, irregeleiteten Volk und zu Gott und seinem heiligen Wort."

Stadtkirche Teil 4

 

*    Bilder mit freundlicher Genehmigung von Photohaus Kiepker
**  Landeskirchliches Archiv Bielefeld
*** Yad Vashem
Mehrere Zeitungsartikel und Collagen vom Tecklenburger Landboten aus:
https://zeitpunkt.nrw/ulbms/periodical/titleinfo/17403411

 

Stadtkirche 1: 1147-1700

Stadtkirche 2: 1700-1932

Stadtkirche 4: 1945 bis heute